Tage des Gedenkens sind von eminenter Bedeutung für die Gesellschaft und den Einzelnen. Der Volkstrauertag und der kommende Woche folgende Totensonntag konfrontieren mit der eigenen Vergänglichkeit, die in der Spaß- und Erlebnisgesellschaft gezielt und erfolgreich ausgeblendet wird. Andere Generationen vor uns übten sich zeit ihres Lebens in der "Kunst des Sterbens" (Ars moriendi).
Von der „Kunst des Sterbens“ konnte im vergangenen Jahrhundert keine Rede mehr sein. Das 20. Jahrhundert hat mit den beiden Vernichtungskriegen eine Dimension erreicht, die alles bis dahin Gekannte sprengte. Kein anderes Jahrhundert bracht Katastrophen dieses Ausmaßes hervor.
Im 1. Weltkrieg mussten mehr als zehn Millionen Menschen ihr Leben lassen. Verdun wurde zum Synonym für menschliches Leiden.
80 Jahre ist es her, dass die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht ergriffen. Der Beginn einer zwölfjährigen Entwicklung, an deren Ende 1945 Europa in Trümmern lag. Die Welt war aus den Fugen geraten, der Tod von 55 Millionen Menschen musste beklagt werden.
Vor 75 Jahren zog ein von SA und SS aufgeputschter Mob durch die Straßen legte Hand an Leib und Gut seiner jüdischen Mitbürger. In der Reichpogromacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten zunächst nur die Gotteshäuser, einige Jahre später Menschen in den Vernichtungslagern von Auschwitz bis Treblinka.
Vor 70 Jahren, im Jahr 1943, wurde eines der blutigsten Kapitel in unsere Geschichtsbücher geschrieben:
In Russland verbluten bei Stalingrad und Kursk die deutschen und sowjetischen Armeen.
In Nordafrika endet mit der Kapitulation des Afrikakorps in Tunesien der Kampf der deutschen und italienischen Streitkräfte. Im Warschauer Getto erheben sich in letzter Verzweiflung die Juden gegen das ihnen von ihren Peinigern zugedachte Schicksal.
Die Schlacht im Atlantik erreicht ihren Höhepunkt. Tausende deutsche und alliierte Seeleute finden ihr Grab in den Fluten. Gleichzeitig bricht mit britischen und amerikanischen Luftangriffen das Inferno über deutsche Städte herein. In Hamburg, Essen, Kassel fordern Bombenteppiche zahllose Opfer unter der Zivilbevölkerung.
Mutige junge Deutsche, die wie die Geschwister Scholl zum Widerstand gegen das Regime der Gewalt und Unfreiheit aufrufen, sterben durch die Hand des Henkers.
Goebbels verkündet den „totalen Krieg“.
Dies alles soll und darf nicht vergessen werden. Deshalb sind wir heute hier zusammengekommen, um der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu gedenken.
Die Erinnerung an gemeinsames Leid ist für uns alle eine Chance der Besinnung. Eine Chance auch für die junge Generation, den einmal eingeschlagenen Weg der Verständigung, der Versöhnung weiter zu gehen.
Was nach dem 2. Weltkrieg für uns deutsche durch die Aussöhnung mit Frankreich und anderen westeuropäischen Ländern gelungen ist, setzen wir seit 1990 Schritt für Schritt auch bei unseren osteuropäischen Nachbarn und Partnern um. Dies ist keine Aufgabe von Tagen oder Wochen, sondern eine Herausforderung für Generationen.
Solange immer noch Menschen glauben, politische, wirtschaftliche, ethnische oder religiöse Konflikte mit Waffengewalt lösen zu können, solange muss die Arbeit für den Frieden weitergehen. Eine friedliche Gesinnung allein und eine passive Haltung des Zuschauens genügen nicht. Friede ist ein herausfordernder Auftrag und verlangt harte Arbeit.
Die Erinnerung an die Toten der Kriege und der Gewaltherrschaft berührt auch heute noch die Menschen in allen Ländern. Mahnung zum Frieden kennt keine Grenzen.