Frau Schlereth ist blind. Aber sie hört noch wie ein Luchs, behauptet jedenfalls ihre Pflegerin. Gestern hat Frau Schlereth Besuch aus München. Oberbürgermeister Christian Ude steht plötzlich im Zeiler AWO-Heim vor ihr und schüttelt ihr die Hand. Ude will im September Bayerischer Ministerpräsident werden und bereist deshalb das Land, das er bald regieren möchte.
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Gestern steht die Stadt Zeil auf seinem Programm. Aber ein bisschen, so hat man jedenfalls das Gefühl, ist es mehr als nur ein Routine-Wahlkampfbesuch. Ude ist sichtlich beeindruckt. Und er nimmt sich Zeit. Wie beim Stammtisch setzt er sich gerne zu Frau Schlereth und erzählte ihr von seiner Beraterin in Sachen Sport, die seit ihrer Geburt blind ist und trotzdem jede Piste in den Bergen auf Skiern hinunterfegt. Sicher publikumswirksam, aber auf jeden Fall mehr als eine Pflichtaufgabe.
Der offene Balkon des Hans-Weinberger-Hauses hat es ihm angetan. Hier zieht er auch sein dunkles Jackett aus. Aufatmen im Tross. Was der Chef kann... Nur die Bodyguards bleiben im dezenten Schwarz. Verständlich. „Ich habe noch nie ein Altenheim gesehen, wo der Balkon so gestaltet ist, dass man die Bewohner mit dem Bett rausfahren kann, damit sie frische Luft schnappen können.“ Überhaupt ist er von Zeil sehr positiv überrascht. Er hat sich vor seinem Auftritt im AWO-Heim schon ein bisschen im Städtele umgeschaut und mit Zeiler Bürgern gesprochen. „Und ich muss sagen, das Stadtbild ist liebevoll gepflegt. Zeil weckt Aufmerksamkeit nicht nur durch das Hexenproblem, das offensichtlich eine große Rolle in der Geschichte gespielt hat.“
Direkt an die Vertreter der Arbeiterwohlfahrt gewandt: „Ich kann nur sagen: Respekt! Die Verantwortlichen haben etwas ganz Schlaues gemacht. Die haben erst gar nicht versucht, den Altbau zu sanieren und zu sanieren und zu sanieren...“
Vor allem beeindruckt ihn, dass das Heim nicht draußen auf der grünen Wiese gebaut wurde. „Das ist ja mitten in der Stadt, mitten im Leben. Eine gelungene Planung, die hier verwirklicht wurde. Da fühlen sich die Bewohner wohl. Eine vorbildliche Sozialeinrichtung. Dieser Ort macht eine vernünftige Kommunalpolitik.“ Ein dickes Lob aus berufenem Munde, schließlich ist Ude selbst seit vielen Jahren Bürgermeister von München und dadurch mit derlei Themen vertraut.
Eigentlich sollen anschließend die Bürger mit dem Kandidaten im Plauderstübchen des Hans-Weinberger-Hauses plauschen, aber es zieht doch mehr die Parteigranden an die grüne Seite des roten Spitzenmannes. Bernhard Ruß und Ude tauschen rege ihre Erfahrungen aus – so von Kandidat zu Kandidat. „Wie stehen denn seine Chancen?“, fragt Ude den Zeiler Bürgermeister nach dessen Amtskollegen von der anderen Mainseite aus. Thomas Stadelmann bekennt Farbe und macht seinen Parteifreunden Mut. „Im schlimmsten Fall bleibst Du halt Bürgermeister!“, sieht Ude die Ruß'schen Aussichten ganz realistisch, gewürzt mit einer Prise Humor.
Den beweist der Oberbayer auch auf dem Weg zum Hexenturm. Der Tross nimmt eine Abkürzung durch die Mittagsbetreuung der Caritas. Hier glimmen Holzscheite in einer Art Lagerfeuer im Garten. Ude spielt den Entrüsteten: „Ein Feuer, bei dieser Wärme? Ja dürft Ihr denn das?“ Einrichtungsleiterin Susanne Langer schwört Stein und Bein, dass es der Bürgermeister erlaubt hat. Aha, naja der ist ja auch ein Sozi und darf das. Außerdem stehen ja etliche Gefäße mit Löschwasser bereit – für alle Fälle. Und der Wasserschlauch ist auch angeschlossen. „Außerdem haben wir in Zeil eine gute Feuerwehr“, beruhigt Ludwig Leisentritt. Also versucht sich der SPD-Kandidat im Büchsenwurf – „Es kostet nichts“, überreden ihn die Kids – fünf bleiben stehen.
Apropos Feuer – sehr interessiert und auch gut vorbereitet präsentiert sich Christian Ude im Zeiler Hexenmuseum. Er kennt sogar den Namen des hingerichteten Bürgermeisters, der in einem Tagebuch des Schreckens einst seine Erlebnisse festgehalten hat.
Quelle: Hassfurter Tagblatt – Wolfgang Sandle