12. Juni: Welttag gegen Kinderarbeit, von Ludwig Leisentritt

Arbeit satt Müßiggang – Kinderarbeit in unserer Heimat

Die kindliche Arbeitskraft galt einmal als „Kapital der armen Leute“

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Seit 2002 findet am 12. Juni der Welttag gegen Kinderarbeit statt. Da wird in schöner Regelmäßigkeit der Missstand kritisiert, dass mehr als 200 Millionen Kinder in der Welt arbeiten müssen. Im Brennpunkt steht jedoch überwiegend die Kinderarbeit in den unterentwickelten Ländern, wo Kinder schon ab fünf Jahren in Arbeit stehen. In Deutschland regelt das 1976 in Kraft getretene Jugendarbeitsschutzgesetz die Beschäftigung von Personen unter 18 Jahre. Kind im Sinne des Gesetzes ist, wer noch nicht 15 Jahre alt ist. Schon sehr früh mahnte 1790 einer Verordnung des Würzburger Bischofs, daß manche Eltern ihren Kindern durch zu frühe und über die Kräfte gehende Feldarbeiten „diese ihre zarten Sprossen vor der Zeit zur Arbeit untüchtig machen. Sie setzen ihre Kleinen der Gefahr aus, für einen mittelmäßigen Vorteil in der Folge krüppelhafte und abgenutzte Kinder heranzuziehen. Sie seien dann keine Stützen mehr im Alter.“

Das Wort „Kinderarbeit“ im Sinne eines verwerflichen Missstandes gab es früher nicht. Ab dem 10. oder 11. Lebensjahr, wurden Jungen gewöhnlich in die Lehre geschickt und Mädchen im Haushalt und bei der Kinderversorgung eingesetzt. Aus den Zeiler Ratsakten ist zu entnehmen, dass sich die Alimentationszahlungen Mitte des 18. Jh. gewöhnlich bis zum 12. Lebensjahr erstreckten. Man ging offenbar davon aus, dass ältere Kinder hernach zu ihrem täglichen Unterhalt selbst beitragen können.

Die Beschäftigung von schulpflichtigen Kindern in der Landwirtschaft und dem Handwerk war weit verbreitet. Besonders für Mädchen spielte die Schule früher eine untergeordnete Rolle. 1806 schrieb der Zeiler Kaplan, „sobald es Frühjahr ist, wird die weibliche Jugend in hiesiger Gemeinde nützlicher verwendet, indem sie den Mangel an dürren Futter durch Grassuchen auf dem Felde - oder durch Vieh- und Gänsehüten - abhelfen muß“. Das war dann auch der Grund, weshalb viele Frauen später kaum lesen und schreiben konnten. 1818 wies der Lehrer in Krum darauf hin, daß ein Knabe weit mehr wissen und verstehen müsse als ein Mädchen. Die vor 200 Jahren bei uns gegründeten Industrieschulen sollten neben der geistigen Ausbildung der Kinder vor allem auch die körperlichen Fähigkeiten, Gewandtheit und Geschicklichkeit fördern.

So lernten in Krum die Mädchen von Allerheiligen bis Ostern das Spinnen, Nähen, Stricken und Blumen binden. Ein Mädchen - so steht es in Sechsthaler Verordnungsbuch - musste bei der Schulentlassung ein selbst gefertigtes Hemd vorzeigen und ein Knabe einen Baum pflanzen und veredeln können.

Die Knaben wurden unterrichtet im Flechten von Körben und Schanzen, in der Anfertigung von Rechen, Dreschflegeln, ledernen Schuhen und im Binden von Besen. Man legte Wert „auf Verfertigung aller nötigen Haus-, Wagen- und Pfluggerätschaften.“

1840 erließ Bayern eine Verordnung, nach der kein Kind vor dem zurückgelegten 9. Lebensjahr zum Zwecke einer regelmäßigen Beschäftigung in Fabriken aufgenommen werden darf. Doch war es völlig rechtens 10 bis 12-jährige Kinder zu beschäftigen. Dabei hatten diese Vorschriften im Bereich des Handwerks gar nicht gegolten. So suchte 1852 im „Haßfurter Intelligenzblatt“ der Malermeister Josef Kiesling in Haßfurt „Kinder von 12 bis 15 Jahren für eine Dauerbeschäftigung gegen entsprechenden Lohn.“

Der Firmengründer Michael Mölter suchte 1866 für seine Hadernsortieranstalt in Zeil, Mädchen ab 13 Jahren. In den Jahren 1901 bis 1903 waren in der Zeiler Weberei jährlich bis zu sieben Kinder unter 14 Jahren beschäftigt. Nach Ausbruch des Krieges 1914 griff der Betrieb ein letztes Mal auf Kinder zurück. Zu ihnen zählte auch Alfons Popp, der 1914 im Alter von dreizehneinhalb Jahren in die Weberei eintrat. Popp, hat von einigen Kriegs und krisenbedingten Unterbrechungen abgesehen - über 50 Jahre dem Betrieb die Treue halten können. Noch bevor sie das Rentenalter erreicht hatten, sind in den 50er Jahren mehrere Beschäftigte der Weberei für 50jährige Betriebszugehörigkeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.

Ein Jahr bevor der Bezirksamtmann Wilhelm Stadelmann 1871 nach Haßfurt kam, hatte er ein Handbuch für die bayerischen Bürgermeister verfasst. Über die Kinderarbeit schreibt er: „Die Zulassung von werktagsschulpflichtigen Kindern zu einer regelmäßigen Beschäftigung in Fabriken und größeren Gewerben ist durch das vollendete zehnte Lebensjahr und durch den Nachweis der diesem Lebensalter entsprechenden Elementarbildung sowie eines entsprechenden Religionsunterrichts bedingt. Das Maximum der Arbeitszeit solcher Kinder ist auf neun Stunden des Tages festgesetzt.“

1906 veröffentlichte das Haßfurter Amtsblatt eine Anordnung über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Steinhauereien. Danach durften 14 und 15jährige nur bei feuchter Bearbeitung der Sandsteine beschäftigt werden. 1920 arbeiteten in den drei Steinbetrieben in Ebelsbach zwölf Beschäftigte im Alter von 14 – 16, einer war unter 14 Jahre alt.

Noch für unsere Großmütter und Großväter war das Arbeiten im Kindesalter völlig normal. So erzählte 2007 eine damals 90jährige Frau aus Gemeinfeld, sie habe bereits mit zwölf Jahren anpacken und zu verschiedenen Bauern in den Dienst treten müssen. Es war üblich, Kinder mit 13 Jahren in Stellung zu geben. Eine Zeilerin wusste von ihrem Vater, dass er mit 13 Jahren - einen Tag nach der Schulentlassung – mit dem väterlichen Segen versehen, - in die Fremde geschickt worden ist. 1866 beantragte in Zeil die „in sehr misslichen Verhältnissen lebende“ Eva W., ihr Sohn Michael, der „schon (!) 12 Jahre alt wird“, möge in den Sommermonaten vom Besuch der Werktagsschule befreit werden. Er sollte als Steinhauerlehrling mit einem täglichen Verdienst von 12 Kreuzern zum Lebensunterhalt der Familie beitragen.

Kinder aus den unteren Schichten mussten so schnell wie möglich selbstständig werden und Geld verdienen oder zumindest ihre tägliche Nahrung. Noch im 19. Jahrhundert hatte das Geldverdienen Vorrang vor der Schule. Die Zeilerin Paula Pottler-Bartl erinnerte sich, dass ihr Großvater während der Sommerzeit als Schulbub bei der Kaufmanns-Familie Pöllath diente und dafür einen Gulden erhielt. Er aß auch häufig am Tisch der Herrschaft mit und entlastete somit die Familienkasse. Als er dann im Spätherbst wieder zur Schule ging, gab es keinerlei Vorhaltungen. Der Lehrer sagte lediglich: „Bist a widder doa!“.

Der 1919 geborene Zeiler Rudolf Weigmann erinnerte sich noch stolz daran, wie sein Vater ihn nach dem Schulunterricht als siebenjährigen Knaben in einen Sandsteinbetrieb kommen ließ. Nicht um ihn die Herstellung von Schleifsteinen zu zeigen. Vielmehr ließ ihn sein Vater, die von ihm gefertigten Schleifsteinrohlinge von der Drehbank in einen überdachten Vorraum rollen. Der Kleine trug damit indirekt zur Steigerung des Familieneinkommens bei. Denn der in Akkord arbeitende Vater konnte sich sofort dem nächsten Werkstück zuwenden, was sich am Wochenende in der Lohntüte niederschlug.

Ein Eintrag im Schmachtenberger Protokollbuch belegt, wie wichtig Kinder oft für die Existenz der Familien waren. Damit der "bisher geführte außereheliche Umgang" des ledigen Blätterbinders Georg R. aus Ziegelanger aufhöre, gestattete ihm die Gemeinde die Verehelichung mit seiner Eheverlobten. Beide hatten miteinander bereits drei uneheliche Kinder. Aber erst nach vielen Jahren erhielt das in „wilder Ehe“ lebende Paar eine Heiratserlaubnis mit der merkwürdigen Begründung: Die um ihre Verehelichung nachsuchenden Eltern könnten nunmehr mit Hilfe ihrer arbeitsfähigen außerehelichen Kinder eine Familie ernähren.

Um 1890 besorgten in Fabrikschleichach – wie vielerorts - Schulkinder das Treten des Blasebalgs der Kirchenorgel. Vom gesundheitlichen Standpunkt aus erschien dem Bezirksamt Haßfurt die Bedienung der schweren Blasebälge durch die Schuljugend zwar als bedenklich. „Es sind hierzu immer zwei, und wenn es schwächere sind, auch drei Kinder erforderlich um sie bewältigen zu können.“ Hauptkritikpunkt war jedoch weniger die körperliche Anstrengung der Kinder. Vielmehr war man besorgt, dass die Schüler dem eigentlichen Gottesdienst entzogen und ohne jede Aufsicht waren.

Die kindliche Arbeitskraft galt als eine Art "Kapital des armen Mannes" und war für viele Familien existenziell notwendig. Erst durch die Schulgesetzgebung wurde Kinderarbeit erstmals indirekt eingeschränkt. Im Intelligenzblatt für Unterfranken wird die sommerliche Unterbrechung der Schule auf dem Lande genau beschrieben. Demnach war es die blanke Not, welche die Eltern zwang, ihre älteren Kinder zur Unterstützung der Feldarbeit heranzuziehen. Damit die Kinder trotzdem noch etwas fürs Leben lernten, ordnete man an, den Unterricht im Sommer bereits morgens um 6 Uhr beginnen zu lassen und die Kinder um 8 Uhr wieder heimzuschicken, „wo sie dann die Eltern noch beynahe den ganzen Tag zu ihrer Beyhülfe gebrauchen können.“ Unsere Schullehrer unterstützten solche Bestrebungen, „weil die Kinder in der Erntezeit ohnehin nicht mehr in der Schule beisammen zu halten sind.“ Vor dem Hintergrund allgemeiner Not forderte der Krümler Gemeinderat 1857 die Eltern dazu auf, ihre entbehrlichen, arbeitsfähigen Kinder zu verdingen, das heißt bei Dienstherren unterzubringen.

Die ständigen staatlichen Anordnungen zugunsten der Minderjährigen waren nicht immer uneigennützig. Die Obrigkeit registrierte nämlich bei den Musterungen für den Militärdienst oft gravierende gesundheitliche Schäden. Dennoch bestimmte bis weit in das 20. Jahrhundert hinein die Kinderarbeit vor allem im landwirtschaftlichen und häuslichen Bereich den Alltag.

Obwohl sich der Schutz der Kinder ständig verbesserte, waren die Bestimmungen in den Kriegszeiten weitgehendst außer Kraft gesetzt. So befreiten zahlreiche Gemeinden 1917 die Schüler und Schülerinnen des 5., 6. und 7. Jahrganges bei günstiger Witterung vom Schulbesuch. Sie mussten beim Auslegen von Kartoffeln, beim Brachen und Häufeln sowie bei der Heu-, Grummet- Getreide- und Kartoffelernte mithelfen. Schüler, welche von ihren eigenen Eltern nicht gebraucht wurden, waren gezwungen, unter Aufsicht einer Lehrkraft bei anderen Leuten landwirtschaftliche Arbeiten zu verrichten.

In Sand befreite man während der Kriegsjahre wegen großen Arbeitermangels die Schüler auf besonderen Wunsch der Gemeindeverwaltung vom Schulbesuch. In den Haushaltungen der Korbflechter mussten sich auch schon vorher und danach noch die Kleinsten nützlich machen.

Die Behörden ermächtigten schließlich alle Schulen, die Kinder bei der Unkrautbekämpfung einzusetzen. So gruben die Kleinen auf den Feldern Queckenwurzeln aus, die – wie es hieß – als wertvolles Futtermittel Verwendung fanden. Gleichzeitig stellte man die Kleinen für verschiedene landwirtschaftliche Arbeiten – wie z. B. für Vieh- und Gänsehüten - von der Schule frei. Sofern Kinder nicht am Schulbesuch gehindert wurden, waren leichte Arbeiten im Haushalt und in der Landwirtschaft noch bis vor wenigen Jahrzehnten ziemlich normal.

Das Haßfurter Landratsamt hielt 1935 eine Umfrage in den Schulen, welche Kinder bei Fremden oder zu Hause gewerblich beschäftigt werden. Die Ortspolizeibehörden entschieden dann, für welche Schüler Arbeitskarten ausgestellt werden durften. 1936 berichtet die Heimatzeitung von Weinbauern, „die von früh bis spät mit Weib und Kind, mit Vater und Mutter in unerhört harter Arbeit in den Weingärten schaffen“.

Um 1938 war in Ottendorf fast jede Familie verpflichtet, Fronarbeit zu leisten. Dabei mussten größere Kinder nach der Schule mit Steinklopfhämmer Feldsteine zerkleinern.

Nach dem letzten Krieg waren Arbeitserziehungslager für Kinder und Jugendliche nichts Ungewöhnliches. Bei Voccawind war in den frühen 50er Jahren ein Erziehungsheim, das bis zu 50 schwer erziehbare Jugendliche ab 14 Jahre durch Arbeit zu bessern versuchte. Tagsüber mussten die „Zöglinge“ im Steinbruch Kipploren mit Steinen und Erde beladen und wegtransportieren, was heute sicher grenzwertig wäre.

Während in den früheren Jahren das Angebot an Kegelbuben so groß war, daß nur ein Bruchteil der Kegelaufsetzer zum Zuge kam, mussten sich seit den 60er Jahren die Kegelbahnbesitzer um automatische Aufsetzvorrichtungen bemühen. Es mangelte zwar nicht an junge Buben, doch durften diese wegen des Jugendschutzgesetzes in den späten Abendstunden keine Kegel mehr aufsetzen.

Üblich war auch die Mithilfe von Kindern bei bestimmten einfachen Heimarbeiten wie sie noch in den 70er Jahren von der Firma AEG-Telefunken in Zeil vergeben wurden. Die Kleinen halfen oft ihren Müttern, kleine Kondensatoren auf Platten aufzustecken was sicher als spielerische Tätigkeit angesehen und geduldet worden ist.

Die Vereinten Nationen sichern Kindern 1989 mit der UN-Kinderrechtskonvention das Recht zu, vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt zu werden. In Deutschland ist Kinderarbeit durch das Jugendarbeitsschutzgesetz definiert: Arbeit von Kindern oder Jugendlichen, die noch der Vollzeitschulpflicht unterliegen, ist mit im Gesetz festgelegten Ausnahmen, beispielsweise für leichte Tätigkeiten für Kinder ab 13 Jahren, verboten.

Seit 1998 ist in Deutschland eine besondere Kinderschutzverordnung in Kraft. Sie regelt die Beschäftigung von Kindern, die älter als 13 Jahre sind, und vollzeitschulpflichtigen Jugendlichen mit den üblichen gesellschaftlich anerkannten Tätigkeiten. Dazu gehören beispielsweise das Austragen von Zeitungen oder Handreichungen beim Sport.