Armut war früher Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens

Durch die Armen konnten sich die Reichen ihr Seelenheil erkaufen.

1,3 Milliarden Menschen, - das ist ein Viertel der Weltbevölkerung - leben in größter Armut. Gerade an Weihnachten wurden die Menschen wieder durch die Worte der Evangelisten mit Armut, Heimatlosigkeit und Flucht konfrontiert. Und Papst Franziskus wünscht sich eine Kirche für die Armen und eine größere Zuwendung zu diesen Menschen. Tatsächlich war Jahrhunderte lang die Fürsorge für die Armen direkt oder indirekt eine Aufgabe der Kirche vor Ort. Dieser Beitrag von Ludwig Leisentritt soll zeigen, was früher in unserer Heimat Armut bedeutete und wie man versuchte sie zu bekämpfen.

Die christliche Armenlehre sah die Armen als Teil einer gottgewollten Weltordnung. Den Armen zu geben, war ein besonderes Gebot der Kirche und versprach dem Gebenden Heil. Besondere Anlässe waren dazu geeignet, die Last zwischen den vermögenden und unvermögenden Ortsbewohnern etwas zu verteilen: Bei Festtagen, Kirchweih, bei kirchlichen und familiären Feierlichkeiten wie Heirat, Taufe und Begräbnisse sind in der Regel auch immer die Armen bedacht worden. 1746 ließ Fürstbischof Carl von Schönborn in der Zeiler Annakapelle an die Hausarmen ein Almosen verteilen nachdem sie zuvor in der Pfarrkirche einem Gottesdienst beigewohnt hatten. Ähnlich waren bei uns auch die früher in Zeil ansässigen jüdischen Mitbürger verpflichtet, ihren armen Mitbrüdern zu helfen.

Die meisten Stiftungen zu Gunsten der Armen tragen in Zeil und anderorts den Stempel kirchlicher Barmherzigkeit. In der Tat waren die meisten Stiftungen reicher Leute Ausdruck tätiger Reue und der Angst vor dem Fegefeuer.

Die Vorstellung der heutigen christlichen Sozialethik, daß Armut die Menschenwürde bedrohe und zu asozialem Verhalten führen könne, war im Mittelalter ganz fremd. Das Betteln galt als legitim und führte in den Jahrhunderten des Zunftwesens sogar zu Bettlerzünften. In einem alten Kinderspiel ist diese Rangordnung noch überliefert: "Kaiser, König, Edelmann - Bürger, Bauer, Bettelmann."

Ganze Scharen von Bettlern zogen an Kirchweihen und anderen Festen öffentlich herum und selbst in dem zum Landgericht gehörigen Orten Steinbach, Ziegelanger, Schmachtenberg, Sand und Dippach wurden Einheimische von Kindern angebettelt. Sogar ein Flurname kündet von der einstigen Plage. In der Krümler Flurmarkung gibt es für einen aufgelassenen Fußsteig die Bezeichnung "Bettelsteig". Über diesen Pfad zogen früher die Bettlerscharen zwischen Haßfurt und Krum.

Eine der großen kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen, die Caritas, definiert sich als eine Institution "christlicher Nächstenliebe und Wohltätigkeit". Dieser Grundgedanke trat schon sehr frühzeitig in den Akten der Armenpflegschaftsräte in Zeil und Krum, - denen immer der jeweilige Pfarrer vorstand, - zutage. 1811 heißt es z.B. im Krümler Commissionsbuch: "Balthasar St. ist wegen seinem sittlich guten Betragen, und weil er unverschuldet ein armer Mann ist, arm geboren ist und mit viel Anstrengung sich, Weib und fünf Kinder ernährt, einer Unterstützung sehr würdig und der barmherzigen Liebe eines jeden bemittelten Menschenfreundes bestens zu empfehlen." 1832 ist zu lesen: "So hat sich doch der Gemeindeausschuss aus Nächstenliebe entschlossen, dem Lorenz G. eine Unterkunft für den gegenwärtigen Winter zu verschaffen." Die Bezeichnung Caritas taucht übrigens bereits 1552 in Ebern auf, als von der Gründung einer wohltätigen Einrichtung durch ein Bürgerehepaar berichtet wird.

Je nach Bedürftigkeit war es üblich, dass minderbemittelte Ortsbürger reihum bei den Mitbürgern ein Essen einnehmen durften. In Zeil verköstigte noch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, der Bäckermeister Baptist Geisel in seinem Gasthaus „Scharfes Eck“ täglich einen „Hausarmen“. Diese uralte und einfache Sozialhilfe, ist nachweislich im gesamten 19. Jahrhundert in Krum und anderen Dörfern praktiziert worden. Eine Frau bekam wöchentlich sieben Pfund Brot und drei Kosttage bei den Mitbürgern. Dagegen erhielt ein Mann pro Woche neben den Kosttagen neun Pfund Brot. Dieses mussten die Armen selbst einsammeln. Als der Flurer Johann Sch. in Krum krank darniederlag und sich nicht mehr selbst zu ernähren vermochte, trugen die Mitbürger täglich abwechselnd eine warme Suppe an sein Krankenbett.

In Krum existierte damals wie fast überall eine Schäferei. Einmal bat der Kaplan von der Kanzel herunter um eine Wollspende, damit sich arme Kinder selbst ihre Strümpfe für den Winter fertigen konnten. Für das Färben der Strümpfe erbot sich die Armenkasse aufzukommen.

Um zwei Krümler Ortsarme besser unterstützen zu können, ließ die Gemeinde 1823 jedem ersten Sonntag des Monats vom Dorfwächter die Armenbüchse herumgetragen. Etwas später ging man auch dazu über, bei Kindstaufen und Hochzeiten milde Gaben zu erbitten.

1818 unterstützte Zeil 14 arme Leute mit Brot und Geld. Streng achtete der Armenpflegschaftsrat darauf, daß Missbräuche nicht allzu sehr wucherten. Da wurde der Margaretha A. das gewährte Almosen herabgesetzt, weil sie ein ausschweifendes und unmoralisches Leben führte und weil sie sich trotz guter körperlicher Konstitution "zu gar keiner Arbeit fügen mochte". Arbeit gab es damals vor allem in den Weinbergen und Steinbrüchen. Jahrzehntelang war das Klopfen von Steinen für den Straßenbau eine Beschäftigung für arme Leute. Frauen und Kindern übertrugen die Gemeinden gerne das Hüten von Gänsen und Enten.

Die Zeiler spendete zumeist Naturalien und vor allem Brot. 1825 sind 416 Pfund Brot an die Armen verteilt worden. Eine Instruktion aus dem Jahre 1818 besagt, daß als Sammler angesehene Personen herumgeschickt werden sollen und dabei kein Haus und keine Familie übergangen werden darf. Diejenigen, welche nichts gaben, sollten in der Liste vermerkt werden. Dem Pfarrer riet man, die monatlichen Sammlungen öffentlich von der Kanzel bekannt zu geben und geziemend um Gaben zu bitten. Auch die Besucher der Wirtshäuser, in denen Büchsen aufgestellt waren, sollten etwas geben.

Als ungeachtet ständiger Aufforderungen in Zeil das Sammelergebnis immer mehr zurück ging, wurde für die Unterstützung der Armen eine Steuerumlage eingeführt, "weil es sich hierorts ereignet, daß gerade die vermögenden Bürger am wenigsten oder gar nichts reichen." Mit dieser Maßnahme sollte nun das Bettelwesen bekämpft werden. So hoffte man, dass die Beiträge reichlicher als bisher ausfallen würden, "indem sich niemand mehr davonschrauben kann."

Auf eine entsprechende Aufforderung des Eltmanner Landrichters, umriss der Zeiler Armenpflegschaftsrat 1834 seine Aufgabe so: "Der Armenpflegschaftsrath in Zeil besteht aus Männern, welche es sich zur heiligsten Pflicht gemacht haben, ihre armen nothleidenden Mitbürger nach Kräften zu unterstützen und deren Elend zu mildern." Augrund einer regierungsamtlichen Weisung teilte die Stadt Zeil 1818 mit, daß eine Suppenanstalt zur Verpflegung der in Zeil wohnenden, arbeitsunfähigen Armen schon seit mehreren Jahren bestehe.

Zumeist wurden Almosen nur im Winter gegeben. So ist in Zeil der Ausspruch überliefert: "Tauet Himmel den Gerechten - im Winter geht der Steinmetz fechten." In den wärmeren Monaten in denen die Steinbruchs- Weinbergs- und Taglohnarbeiten möglich waren, ist den Armen Arbeit zugewiesen worden um ihr tägliches Brot zu verdienen.

Bettelarm zu sein war zwar unangenehm, aber es war keine Schande. Das galt erst recht für Kinder, die oft in diese meist kaum veränderbare Lebenssituation hineingeboren wurden. Es gibt viele Beispiele dafür, wie solche Kinder in Zeil, Krum, Schmachtenberg und Ziegelanger auch später arme Leute blieben, uneheliche Kinder in die Welt setzten die dann später ebenfalls der örtlichen Armenfürsorge zur Last fielen. Glück hatten diese Armen noch, wenn sie wenigstens das Recht auf Heimat besaßen und dadurch die Unterstützung der Gemeinde bei Krankheit in Anspruch nehmen durften.

Hin und wieder vermochte sich einer aus dem Kreis der Armen emporzuheben. So z.B. der 14jährige Michael Mölter, der 1845 bei seinem Onkel Joseph Mölter auf Kosten der Armenkasse das Weberhandwerk erlernte. Nach einer fünfjährigen Wanderzeit kehrte er in seine Heimatstadt zurück um hier 1858 eine Lumpenhandel und eine Bandweberei zu gründen. Mölter ist ein seltenes Beispiel dafür, wie ein armer Mensch, „durch Fleiß und industriellem Streben" zu Reichtum und Vermögen kam und sein Lehrgeld wieder zurückzahlte. Aufgrund seiner Herkunft war es ihm Zeit seines Lebens ein Herzensanliegen, seinen Mitbürgern Arbeit und Brot zu verschaffen.

Die Armut in unserem Bereich ging auch nicht in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts zurück. Die steigenden unehelichen Geburten belegen dies sehr deutlich. Die Möglichkeit zu heiraten und eine Familie zu gründen war für viele unerreichbar. Nicht selten lebten Paare oft ein Jahrzehnt und länger in wilder Ehe zusammen. Frauen hatten oft bis zu fünf und mehr uneheliche Kinder, nicht selten von mehreren Vätern. Manche sahen nur den Ausweg, mit der gesamten Familie das Land zu verlassen. Zwischen 1742 und 1799 wanderten aus unserem Landkreis weit über 300 Personen nach Ungarn aus.

Weniger bekannt ist, dass zur selben Zeit (1764) im Raum Zeil-Sand und dem Steigerwald französische Werber unterwegs waren, ärmere Leute dazu zu überreden ihr Glück im südamerikanischen Französisch-Guyana zu suchen. Der Gemeindevorsteher von Sand unterstützte die Auswanderungsgesuche indem er darum bat, „diesen liederlichen Leuthen den Abzug nicht zu erschweren“.

Mehrere Tausend Leute aus unserem Landkreis sind dagegen nach Nordamerika ausgewandert. Viele der rund 500 zwischen 1830 und 1920 emigrierten Zeiler stammten aus ärmlichen Verhältnissen. So wie Zeil und Eltmann zahlten die Gemeindeverwaltungen oft die Überfahrtskosten ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“.

Das lässt Großzügigkeit vermuten, war es aber nicht. Den Kommunen lag viel mehr daran, arme Leute los zu werden. Eine einmalige Unterstützung für das Ticket über den großen Teich, war langfristig für die Gemeinde billiger. Die Behörden ermunterten die Gemeinden sogar, sich auf diese Art arme Leute vom Hals zu schaffen. Wer will, kann Ähnlichkeiten mit den heutigen Armutsflüchtlingen aus Afrika und anderen Ländern erkennen. Nur wird denen nicht von ihren Gemeinden sondern oft von den Großfamilien unter großen Opfern das Fahrgeld zur Verfügung gestellt um in Europa ein vermeintlich besseres Leben führen zu können, ganz so, wie einst unsere Auswanderer nach Ungarn, Guyana oder Amerika.

Der ursprüngliche Zweck der Gründung unserer Sparkassen in Ebern, Hofheim, Haßfurt und Eltmann zwischen 1837 und 1840 war auch, „der ärmeren Bevölkerung zur allmählichen Ansammlung, Mehrung und nutzbringender Anlegung ihrer Ersparnisse zu verhelfen“. So sollten sich die Minderbemittelten in bescheidendem Maße einen „Notgroschen“ ansparen, um sich in Zeiten von Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter vor Verarmung zu schützen.

Die Ursachen der Not zu beheben, dazu fehlten der damaligen Obrigkeit die volkswirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten. Dennoch sind einige Ansätze von "Beschäftigungsprogrammen" bekannt, um der bedürftigen Bevölkerung eine Erwerbsmöglichkeit zu verschaffen.

Zwischen 1835 und 1852 gab es bei der Begradigung des Mains, dem Bau der Eisenbahn und der Trassierung mehrer Straßen immer wieder Arbeitsmöglichkeiten. Damals wie heute war und ist die beste Armutsbekämpfung ein auskömmlicher Arbeitsplatz. Der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Armut wird auf Dauer nicht durch Almosen überwunden, sondern nur, wenn sich die Armen durch Arbeit aus der Armut herausarbeiten können.“

Kasten

Einige Jahrhunderte lang war das erstmals 1590 erwähnte Siechen- und Armenhaus unterhalb von Schmachtenberg ein Hort armer und kranker Mitbürger. Eine Betreuung der Hilfsbedürftigen fand kaum statt. Die Bewohner waren gehalten, sich recht und schlecht gegenseitig selbst zu helfen nach dem Paulus-Wort: „Einer trage des anderen Last“. Es war jedochdie Mildtätigkeit der Mitbürger, welche die Armen am Leben hielt. 1857 rief eine wohlhabende Zeiler Försterswitwe die „Elisabeth Hofmann’sche Armenstiftung“ ins Leben. Sie sollte der Beherbergung und Verpflegung gutbeleumdeter Armen von Zeil dienen. "Die hiesige Gemeinde", so schrieb der Zeiler Pfarrer an das Bezirksamt, "ist sehr unbemittelt und mit Armen wahrhaft überbürdet. Namentlich ist eine Menge Armer vorhanden, denen es an dem nötigen Obdach fehlt und die nur auf Kosten der Lokal-Armenkasse notdürftig untergebracht sind." Das Haus befand sich in der Speiersgasse gegenüber der Brauerei Göller. Das Vermögen dieses Spitals – in dem sich zuletzt auch eine Kinderbewahranstalt befand - bildete dann das finanzielle Fundament für das Caritashaus, das 1931 die Verpflichtungen aus dem Vermächtnis der Stifterin übernommen hat.

Bildtexte

Bild der hl. Elisabeth von Thüringen

Die Hl. Elisabeth von Thüringen gilt als Patronin der armen Leute. Dieses imposante Gemälde stiftete 1931 der Zeiler katholische Frauenbund bei der Einweihung des Caritashauses. Es wurde ausdrücklich im Geiste der Nächstenliebe der hl. Elisabeth geweiht.

Bild: Bettlerin auf dem Zeiler Marktplatz (2 zur Auswahl)

Auf den Straßen und Plätzen kann man die Armut heute kaum noch wahrnehmen, denn in unserer Zeit versteckt sich die Armut. Dieses Bild entstand bei einem mittelalterlichen Spektabel anlässlich des Zeiler Marktjubiläums 1997.

Bild Armenhaus unterhalb Schmachtenberg

Vor den Toren der Stadt am östlichen Stadtausgang stand Jahrhunderte lang ein Siechenhaus, das später als Armenhaus diente. Im Anbau soll sich ein kleiner Hausaltar befunden haben vor dem die armen Leute für das Seelenheil ihrer Wohltäter beteten.

Bild: Gedenktafel Elisabetha Hofmann

Diese Gedenktafel an der Friedhofkapelle und ein Straßenname im neuen Baugebiet erinnern an die Stifterin der Elisabetha Hofmann’schen Armenstiftung

Bild: Haus Elisabeth Hofmann’sche Armenstiftung. (2 zur Auswahl)

Bis vor gut hundert Jahren stand gegenüber der Brauerei Göller das Haus der „Elisabeth Hofmann’schen Armenstiftung“

*) Zur Info: diese Postkarte zeigt noch das Göller’sche Wirtshaus, als sich die Gaststube noch im Fachwerkhaus befand, was man auch am Hirschen-Schild-Ausleger sehen kann. Die Inschrift am Armenhaus sollte gut lesbar sein.

Quelle: Ludwig Leisentritt