Sander Raaser - Ein Denkmal für die Korbmacher – Einen ausgestorbenen Berufszweig

Von Heinrich Weisel

„Korbraaser“: Die Sander sind nicht nur als Korbmacher bekannt. Vielmehr waren sie in früherer Zeit auch als Korbhändler („Korbraaser“) unterwegs. Dabei wurde gutes Geld verdient.

Verkaufsfahrten: Der wirtschaftliche Aufschwung in der Nachkriegszeit machte es möglich, dass Edwin Zösch schon von 1952... Foto: Edwin Zösch

Im Januar des Jahres 2014 beschloss der Sander Gemeinderat anlässlich des 875. Dorfjubiläums, ein Denkmal aus Bronze für die früher so zahlreichen Korbmacher anfertigen und am Dorfplatz aufstellen zu lassen. Es wird das Abbild eines Sander Mannes darstellen, der als Korbhändler („Korbraaser“) auf Geschäftsreisen in der Fremde seine Ware verkaufte.

Dem für die Ausführung des Denkmals vorgesehenen Künstler Theo Steinbrenner aus Schwarzach wurde ein altes Foto eines „Korbraasers“ vorgelegt, gemäß diesem er dem Gemeinderat seinen Entwurf und ein Angebot unterbreitete. Wie in der örtlichen Presse zu lesen war, wurden sich beide Seiten handelseinig, der Auftrag zur Anfertigung wurde erteilt. Nach aktuellen Informationen wird das Kunstwerk derzeit angefertigt und soll am Sonntag, 29. Juni, an seinem Standort auf dem Kirchplatz enthüllt werden.

Stattliches Wohnhaus

Als der Entwurf des Künstlers Theo Steinbrenner in der hiesigen Presse veröffentlicht wurde, konnte man sich in einer Sander Familie sehr gut daran erinnern, dass der „Korbraaser“ auf dem als Vorlage dienenden Foto der eigene Großvater Josef Nikolaus Ullrich gewesen war. Er lebte von 1853 bis 1933 und kam als „Korbraaser“ weit herum. Das Foto von ihm wurde im Zeitraum 1905 bis 1910 angefertigt, als er im Gebiet Thüringen/Sachsen geschäftlich unterwegs war. Er ließ sich wohl in einer dortigen Stadt das Foto anfertigen. Dass der Korbhandel damals seinen Mann ernährte und gutes Geld und ordentlichen Verdienst ermöglichte, geht daraus hervor, dass sich Josef Ullrich 1911 ein stattliches Wohnhaus in der Hauptstraße bauen ließ, das noch heute beeindruckt (Haus-Nummer 45). Der Sander Heimatforscher Edwin Zösch konnte all dies bei den Vorarbeiten zu seinem inzwischen fertiggestellten Häuserbuch nachweisen und dokumentieren. Der noch heute in Sand geläufige Spruch „Gald idd doa“ („Geld ist da“) dürfte wohl auf den damals erfolgreichen Korbhandel zurückgehen.

Und wer sind die Nachkommen dieses Josef Ullrich? Es sind der fast 81-jährige Fritz Ullrich und dessen jüngere Brüder Hugo (†) und Eduard sowie deren Kinder und Enkelkinder.

Sander Häuserbuch

Bei den Recherchen für das Sander Häuserbuch entdeckte der Heimatforscher Edwin Zösch auch eine überraschende und bis dato unbekannte Tatsache im Zusammenhang mit dem Korbhandel. Er überprüfte in den Kirchenbucheinträgen über die früheren Hausbesitzer auch die Personen und deren Berufsangabe. Dabei stellte er fest, dass es in Sand im 19. und 20. Jahrhundert sechs Ullrich-Familien gab, die neben dem Korbhandel auf ihren Geschäftsreisen auch Samenhandel betrieben. Dies waren im Einzelnen neben dem schon oben genannten: • Josef Nikolaus Ullrich und später dessen Sohn • Nikolaus Albin (Wohnung Hauptstraße 45) • Heinrich Georg Ullrich sowie sein Sohn • Oswald Ullrich (Wohnhaus Zeilerstraße 48) • Kaspar Ullrich (Wohnhaus im Wörth 11) • Nikolaus Hermann Ullrich (Wohnhaus St. Nikolausgasse 22) • Ernst Ullrich (Wohnhaus Sandgasse 11) • Josef Ullrich (Wohnhaus Kirchplatz 74). Der Enkel Fritz Ullrich kann sich noch heute daran erinnern, wie für seinen Großvater Josef Ullrich die von der Bamberger „Sämereien-Handlung Deuber Johann jr., Nachf. A. Mernberger, Egelseestr. 2“ bezogenen verschiedenen Samen (Möhren, Rote Rüben, Spinat, Rettich, Radieschen, Petersilie, Bohnen, Erbsen) von der Familie portionsweise in kleine Papiertütchen verpackt und mit einem Stempel beschriftet wurden. Dessen Inschrift wies dann jeweils auf den Inhalt hin. Die größten Mengen machte immer aus der in Zentnersäcken angelieferte „Rangesensamen“ (Rangesen = Futterrüben) für die Bauern in den besuchten Regionen. Dieser wurde zusammen mit größeren Korbvorräten per Bahn an einen Bestimmungsbahnhof geliefert und eingelagert. Von dort wurde er nach und nach durch die Sander Händler abgeholt und von Haus zu Haus beziehungsweise von Bauernhof zu Bauernhof verkauft. Die Dauer einer Verkaufstour belief sich in Heimatnähe meist auf acht bis 14 Tage, bei größeren Entfernungen waren die „Sander Raaser“ auf ihren Geschäftsreisen manchmal auch einige Monate unterwegs. Wichtig war jedoch, dass alle möglichst um die Erntezeit daheim waren, um die Feldfrüchte von den eigenen Feldern rechtzeitig unter Dach und Fach bringen zu können.

Der Vater von Edwin Zösch, Wilhelm Zösch, ging oft zusammen mit Albin Ullrich auf Verkaufstour. Sie waren zwar nicht verwandt, aber sie hatten beide Ehefrauen aus Zell am Ebersberg, durch die es eine freundschaftliche Verbindung gab. Einmal waren sie sogar in Norddeutschland in Küstennähe als Korbwarenverkäufer unterwegs. Dabei ergab sich, dass sie an einem Sonntag die Gelegenheit nutzten und von Bremerhaven aus die Insel Helgoland besuchten.

Einige Monate unterwegs

Als Beweis brachten sie ein Foto von der Entladestelle auf Helgoland mit, als sie mit anderen Passagieren vom großen Fährschiff auf ein kleines Boot zum Transport auf die Insel umsteigen mussten.

Der Zweite Weltkrieg unterbrach dann alle Geschäftsreisen. In Sand wurden Weidenkörbe für den sicheren Transport von schwerer Flak-Munition angefertigt. Albin Ullrich kam in russische Kriegsgefangenschaft und wurde erst nach Jahren aus einem Gefangenlager in Sibirien entlassen. Sein vorheriger Partner Wilhelm Zösch war aber schon älter und mochte nicht mehr die Strapazen dieser Verkaufsreisen auf sich nehmen. So ergab es sich, dass dessen Sohn Edwin als Korbverkäufer einsprang, auch, weil er schon ein eigenes Auto besaß. Es handelte sich um einen „Adler Triumph Junior“, Baujahr 1937. Der hatte 25 PS, 997 ccm Hubraum und sogar ein Schiebedach aus Segeltuch. Auf guten Straßenabschnitten schaffte Edwin Zösch nach eigenen Angaben 100 bis 105 Kilometer pro Stunde.

Die erste gemeinsame Tour der beiden führte bei Hof entlang der Grenze zu Thüringen und Sachsen. Dort kannte Albin Ullrich noch Kunden aus der Vorkriegszeit, zu denen neue Geschäftsverbindungen angebahnt wurden.

Die Einquartierung der beiden erfolgte in der Stadt Hof. Vom dortigen Bahnhof aus konnten dann immer die nachgesandten Korbwaren zum Weiterverkauf abgeholt werden. Die dortigen Landwirte waren hauptsächlich auch Abnehmer von größeren Mengen „Rangesensamen“ zum Anbau von Futterrüben für ihr Vieh. Da viele Bauern nicht gleich alles bezahlen konnten, kam der Händler im Herbst nach der Ernte nochmals dort vorbei, um bei den Bauern deren Rückstände zu kassieren. Manchmal gaben diese gleich wieder Bestellungen für das neue Jahr auf. Doch so manche Schulden konnten aus Geldmangel von den Kunden auch nicht beglichen werden. Sie blieben für eine spätere Zahlung offen.

Edwin Zösch fuhr zusammen mit seinem Partner Albin Ullrich auch zum Korbverkauf in den Raum Stuttgart, ins Rheinland und an die Mosel. Als der Partner dann aus Altersgründen keine Reisen mehr mitmachte, fuhr Edwin Zösch alleine und lernte dabei auch die Gegenden um den Bodensee und den Schwarzwald kennen.

Schulden

Wie er berichtete, wurden die jeweils angepeilten Verkaufsgebiete untereinander vorher abgesprochen, um sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen.

Im Jahr 1958 beendete Edwin Zösch seine Tätigkeit als „Raaser“. Er arbeitete dann nach einer entsprechenden Umschulung und Ausbildung als Baggerfahrer für eine Privatfirma im Waldwegebau der Forstbehörden. Als er im Jahr 1960 eine Familie gründete, wurde er in Sand endgültig sesshaft. Und der Korbhandel war für ihn definitiv Vergangenheit.

Mittlerweile ist er 86 Jahre alt geworden und kann immer noch über viele interessante Erlebnisse aus seiner Zeit als „Raaser“ berichten.

Ein Bild von Josef Nikolaus Ullrich, das als Vorlage für den Entwurf des Künstlers Theo Steinbrenner diente. Foto: Weisel-Ullrich-(Bild 1 unten)

Einen Rekord in punkto Verladung und Sicherung auf dem „Adler Triumph Junior“ von Edwin Zösch stellten damals bis zu 28 ... Foto: Edwin Zösch-(Bild 2 unten)